Im Gefängnis wurde schon Weltliteratur geschrieben. Wir stellen Ihnen fünf berühmte Autor*innen der Gefangenenliteratur vor.

Gefangenenliteratur

Was bleibt, wenn man in einer nackten, kalten Zelle sitzend, nur noch auf den Tod warten kann, der in einem Urteil über das eigene Leben verhängt wurde? Das Schreiben. Zumindest, wenn es nach Boethius geht. Während der römische Philosoph um 524 nach Christus auf seine Hinrichtung wartete, suchte er Trost in Tinte und Papier und verfasste sein Werk »Trost der Philosophie«, das zu einem Bestseller des Mittelalters werden sollte. Im Dialog mit der Philosophie suchte Boethius Antworten auf die Frage, warum es, wenn es einen gerechten Gott wirklich geben sollte, immer nur die Guten treffe. Die Philosophie antwortet so, wie man es von ihr gewohnt ist: in Rätseln. Und wirft die Frage auf den Fragenden zurück.

Im Gefängnis ist man auch mit dem Kerker der eigenen Gedanken konfrontiert. Doch dort, wo es keine Ausflucht gibt, bleibt immer noch dieses letzte Ventil des Schreibens. Wohl darum wurden in den Gefängnissen dieser Welt schon ganze Romane geschrieben. Seit Boethius die Kälte seiner eigenen Gedanken in seiner einsamen Zelle aushauchte, ist mit der Gefangenenliteratur eine eigene Literaturgattung entstanden. Hinter Gittern und unerbittlichen Gefängnismauern wurden Bücher, Briefe, Tagebücher, Momentaufnahmen oder Gedichte verfasst. An jenem Ort, wo das Schicksal dem Menschen ein absolutes Ende auferlegte, schuf er sich mit dem Schreiben einen neuen Anfang. Und er tut es noch.

Inzwischen genießt die Gefangenenliteratur längst schon Status und Anerkennung. Bücher vom »Trost der Philosophie« bis zum »Archipel Gulag« eroberten die Welt von der Haftanstalt aus. In Deutschland wird das Schreiben in Handschellen mit dem Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene sogar mit einem Preis honoriert. Der Literaturpreis wurde seit seiner Institutionalisierung schon elf Mal vergeben und soll Inhaftierten eine Plattform für ihr eigenes Denken und Erleben in Gefangenschaft geben.

Doch welche Bücher sind nun eigentlich schon in Gefangenschaft entstanden?  Anlässlich des Writers in Prison Days, der jedes Jahr am 15. November stattfindet und verfolgten, ermordeten oder in Gefangenschaft lebenden Autor*innen ein Mahnmal setzt, stellen wir vom novum Verlag Ihnen fünf berühmte Autor*innen vor, die ihr Werk im Grauraum einer Zelle verrichteten. 

Kunst aus dem Knast: Fünf berühmte Autor*innen der Gefangenenliteratur  

Miguel De Cervantes

Sklave, Steuereintreiber und Schriftsteller – das Leben des spanischen Autors Miguel De Cervantes war mindestens so abenteuerreich wie das seiner wohl berühmtesten Figur, Don Quijote. Die Arbeit an dem ruhmreichen Ritterroman nahm ihren Anfang im Gefängnis von Sevilla, wo Cervantes eine Strafe wegen Veruntreuung von Staatsgeldern verbüßte. Hafterfahrung machte Spaniens Nationaldichter aber schon Jahre zuvor, als er als Sklave nach Algier verschleppt wurde. Fünf Jahre lang versuchte Cervantes vergeblich zu flüchten, bevor er 1580 endlich von seinem Joch befreit wurde.

Alexander Issajewitsch Solschenizyn

Hunger, Erschöpfung, Kälte, Krankheit und Tod – all das erfuhr der russische Schriftsteller und Systemkritiker Alexander Issajewitsch Solschenizyn am eigenen Leib. Solschenizyn wurde wegen Kritik an Stalin ohne Prozess zu acht Jahren Haft und ewiger Verbannung verurteilt. Die Erfahrungen, die der Literaturnobelpreisträger in dem sowjetischen Arbeitslager machte und die jede Seele verwüsteten, hielt er in mehreren Büchern, darunter das berühmt gewordene »Der Archipel Gulag« fest. Das Werk ist nicht nur Zeugnis und Zeitdokument der entmenschlichenden Zwangsarbeit, die zur Zeit sowjetischer Unterdrückung zum Todesurteil vieler wurde, sondern auch ein Memento an jene, die dort ihr Leben ließen.

Anne Perry

Bücher einer Mörderin hat im Regal, wer Kriminalromane von Anne Perry besitzt. Die Britin, deren Kriminalromane mehr als 25 Millionen Mal verkauft wurden, machte sich in Jugendjahren eines schweren Vergehens schuldig: Gemeinsam mit ihrer Freundin Pauline Parker ermordete sie deren Mutter. Weil die Mutter die enge Bindung der beiden Freundinnen missbilligte, erschlugen sie Honora Parker mit einem Ziegelstein. Perry, die zum Zeitpunkt der Tat erst 15 Jahre alt war, wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Gefängnis dürfte eine ergiebige Recherche- und Inspirationsquelle für die Autorin gewesen sein: Perrys Krimis zeichnen sich durch einen hohen Grad an Qualität, Authentizität und Nachvollziehbarkeit der in ihnen beschriebenen Verbrechen ab. Perrys düstere Vergangenheit wurde in dem Film »Heavenly Creatures« von Peter Jackson mit Kate Winslet in der Hauptrolle verfilmt.

Noch mehr Filme über das Leben berühmter Autorinnen und Autoren finden Sie in diesem Beitrag.

Marquis de Sade

Gesellschaft, Tugend und Moral verdirbt das Werk de Sades, wenn es nach seinen schärfsten Kritiker*innen geht. Der französische Adelige und Autor verbrachte einen großen Teil seines Lebens in Gefängnissen und Irrenanstalten, wo er von Gesellschaften ohne moralische Gebote und Tugenden fantasierte. Deren grausamste Auswüchse hielt er in Werken fest, die Pornographie, Chaos und Gewalt verherrlichten und unter Geisteswissenschafterinnen und Philosoph*innen, darunter Simone de Beauvoir, Camus und Nietzsche, bis heute heftig diskutiert wurden und werden. Seine kontroversiellen Werke, die Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden, verfasste der Marquis im Gefängnis in winziger Schrift, um nicht durch übermäßigen Papierverbrauch aufzufallen.

Wolfgang Borchert

Drückende Gefühle, Beklemmung und Aussichtslosigkeit zeichnen die Erzählung »Die Hundeblume«, die der deutsche Schriftsteller Wolfgang Borchert im Militärgefängnis im Geiste verfasste. Die Erlebnisse und Gedanken, die den jungen Poet in seiner Einzelzelle zermürbten, bildeten die Basis für das Meisterwerk, das Borcherts Wendepunkt von der Lyrik zur Prosa beschreibt. Als einer der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur gibt das Werk Einblick in die Marter der Haft, die ohne Aussicht auf Zukunft und als dunkler Abglanz der Gegenwart durchaus zur Debatte stehen sollte.   

Seltene Einblicke in das Leben von Gefangenen und Todeskandidaten »End of Line« gewährt Starfotograf und novum Verlag Autor Manfred Baumann in seinem Bildband »End of Line«. Die Fotoreportage begleitet das Schicksal zweier Todeskandidaten der Polunsky Unit, dem Todestrakt mit den meisten Hinrichtungen in den USA. Mehr zu dem Buch erfahren Sie in diesem Beitrag.

Welche Werke der Gefangenenliteratur haben Sie schon gelesen? Können Sie Bücher oder auch Autor*innen empfehlen, die ihr Werk in der Einsamkeit einer Gefängniszelle verrichteten? Auf Ihre Meinung freuen wir uns wie immer in den Kommentaren!

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