In seiner Fotoreportage „End of Line“ gewährt Starfotograf Manfred Baumann einen seltenen Einblick in das Leben zweier Todeskandidaten der Polunsky Unit, dem Todestrakt mit den meisten Hinrichtungen in den USA.

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Mit ihren 36.000 Einwohnern besticht die texanische Kleinstadt Huntsville auf den ersten Blick durch typisch amerikanischen Südstaatenflair. Tatsächlich ist Huntsville jedoch für seine insgesamt sieben Gefängnisse weltbekannt: Nirgendwo sonst in den Vereinigten Staaten wird die Todesstrafe so oft vollstreckt wie hier.

In seinem Buch „The End of line. The last journey of death row inmates to execution“ skizziert der Fotograf Manfred Baumann auf 152 Seiten eine beklemmende Parallelwelt. In schlichtem Schwarzweiß gehalten, lenken seine Fotografien den Blick des Betrachters auf das Wesentliche, lassen aber gleichzeitig Raum für Interpretationen. Die harten Kontraste und die reduzierte Bildsprache verleihen der Bedrohlichkeit des tristen Szenarios eine ausweglos düstere, morbide Grundstimmung.

Manfred Baumann: Bilder in eine merkwürdig vertraute, aber gleichzeitig fremde, bedrohliche Welt.
Baumanns Bilder öffnen ein Fenster in eine merkwürdig vertraute, aber gleichzeitig fremde, bedrohliche Welt.

Begleitet werden Baumanns Fotografien von kurzen erklärenden Texten. Stets schwingt in den wenigen Zeilen zynische Kritik am vorherrschenden System mit. Sie offenbart sich etwa in der widersprüchlichen Aussage des ehemaligen Gefängnisaufsehers Lon Bennett Glenn: „Wir wollen keine Gewalt in unseren Städten, auf unseren Straßen! Deshalb muss das Gefängnis-System so sein, wie es ist. Nur so können wir erfolgreich gegen Drogen, gegen Gewalt und gegen Verbrechen vorgehen.“ Gleichzeitig gehört Dallas, Texas, zu den zehn gefährlichsten Städten der USA.

Besondere Brisanz bergen die Interviews mit den beiden zum Tode verurteilten Insassen Charles „Chucky“ Mamou und Arnold Prieto: Dank der ungeheuren Darstellungskraft der Momentaufnahmen hat der Betrachter das Gefühl, den Betroffenen direkt in die Seele blicken zu können. Ihre Schicksale lassen niemanden kalt, ihre Verzweiflung und Unschuldsbeteuerungen verleihen der Situation zusätzliche Tragik.

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Gefangen hinter Glas: Charles „Chucky“ Mamou lebt seit 16 Jahren in völliger Isolation.

Unter die Haut geht auch das Schicksal Arnold Prietos: Wegen angeblichen dreifachen Mordes und trotz mehrfacher Unschuldsbeteuerungen verurteilt, wartete er insgesamt 7.173 Tage – mehr als 19 Jahre – im Todestrakt auf seine Hinrichtung. Ohne direkten Kontakt zu Menschen, in totaler Isolation abgeschottet. Ein Jahr nach dem Interview für „End of Line“ sprach er seine letzten Worte:

There are no endings, only beginnings… Love y’all, see you soon!
(Es gibt kein Ende, nur Anfänge… ich liebe Euch, wir sehen uns bald!)

Letztlich liest sich Baumanns Fotoreportage vor allem als Plädoyer für mehr Menschlichkeit. Ohne zu werten, lässt er Menschen zu Wort kommen, die sonst ungehört bleiben, gibt jenen eine Stimme, die zum Schweigen verdammt sind. Dabei gelingt dem Starfotografen ein gewagter Spagat: Im ständigen moralischen Kampf mit sich selbst, fragt sich der Leser und Betrachter des Buches zwangsläufig, ob Mitgefühl und Sympathie für die vermeintlichen Mörder angebracht sind. Eine Antwort bleibt Baumann schuldig.

Arnold Prieto starb am 21. Januar 2015 durch die Giftspritze.
Arnold Prieto starb am 21. Januar 2015 durch die Giftspritze.

Nach „Celebrities“ schafft der Starfotograf mit seinem zweiten beim novum Verlag erschienenen Werk eine optisch beeindruckende Gratwanderung zwischen Moral und Mitgefühl. Wer „End of Line“ liest, dessen Blicke unterliegen erbarmungslos der magischen Anziehungskraft Baumanns Bilder. Einmal gelesen, bleibt dieses Buch im Gedächtnis haften. Unser absoluter Geheimtipp – Gänsehaut garantiert!


Manfred Baumann End of Line

„End of Line: The last journey of death row inmates to execution“

Manfred Baumann
novum Verlag
ISBN: 978-3-99048-508-8
EUR 19,90

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