Sie sind Heldinnen echter und erfundener Welten. Die Lebensgeschichten dieser Literaturnobelpreisträgerinnen lesen sich schöner als jeder Roman.

Gesellschaftlicher Aufstieg, begleitet von der lebenslangen Angst, wieder abzurutschen. Armut, Entbehrung und das Gefühl, nirgendwo zu Hause zu sein. Ein Vater, der nur ein Buch besitzt, der auf Strohsäcken über dem Stall schläft, ohne Bettwäsche, und der einem plötzlich fremd geworden ist. Über ihre eigene und die Geschichte ihres Vaters schreibt Annie Ernaux in ihrem autobiographischen Werk „Der Platz“. „Der Platz“ ist Zeugnis eines Lebens, dem Leben einer Frau, die es vom Arbeiterkind bis zum Literaturnobelpreis geschafft hat. Denn Annie Ernaux wird 2022 der Nobelpreis für Literatur für ihr Lebenswerk verliehen, einem Lebenswerk, das der Arbeiterklasse einen großen Dienst erwiesen hat: Denn die Französin dokumentiert das Elend, ohne Zierde und schmückendes Beiwerk. Ernaux romantisiert nichts an diesem Elend, denn sie selbst hat es erlebt.
Ernauxs Geschichte wirkt einzigartig, doch sie ist es nicht. Denn in der Geschichte der Literaturnobelpreisträgerinnern finden sich immer wieder Frauen, die sich gegen ihr gesellschaftliches Schicksal aufgelehnt und ihre Federn zu Fackeln der Freiheit erhoben haben. Wie schwer es ist, sich als Frau einen Namen in der Welt der Literatur zu erringen, beweist die erstaunlich kurze Liste der weiblichen Titelträger. Denn unter 118 Preisträger*innen sind nur 17 Frauen.
Betrachtet man die Geschichten jeder einzelner dieser Frauen, von Selma Lagerlöf bis zu Annie Ernaux, so wird schnell klar, dass der Preis mehr ist als ein Ehrentitel. Er ist ein Symbol für jede Minute Entbehrung, für jede Errungenschaft einer Frau in einer Welt, in der einem Mädchen gesagt wird, dass es es nie so weit bringen wird wie ein Mann. Siebzehn Frauen haben das Gegenteil bewiesen. Im Vorjahr haben wir Ihnen in diesem Artikel zehn von ihnen vorgestellt. Heute, zum #Weltfrauentag, wollen wir ihnen weitere sieben Frauen vorstellen, deren Wirken nicht nur die Welt der Fiktion, sondern auch die echte Welt zu einem besseren Ort gemacht hat.

Elfriede Jelinek, 2004
Angstzustände zwangen Elfriede Jelinek in jungen Jahren zu einem Jahr in völliger Isolation. Abgeschottet von Lachen und Geselligkeit fand sie zum Schreiben. Und sie hörte nie wieder auf damit. Die Österreicherin schrieb über Missstände im öffentlichen, politischen und privaten Bereich und kritisierte mit ihrem Werk auch patriarchale Machtverhältnisse. Ihr obszöner Schreibstil brachte ihr Kritik und Skandale ein. Doch Jelinek blieb ihrem Stil treu und erhielt 2004 schließlich den Nobelpreis für Literatur für ihre Gabe, mit ihrer musikalischen Sprache „die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees zu enthüllen.“
Doris Lessing, 2007
Trostlos und unglücklich beschrieb Doris Lessing ihre Kindheit in den britischen Kolonien Afrikas. Die britische Schriftstellerin musste ansehen, wie die Träume ihrer Mutter an der harten Realität zerbrachen und die Schule frühzeitig abbrechen. Den Nobelpreis erhielt sie für ihr feministisches Werk „Das goldene Notizbuch“, in dem sie eine friedliche Welt voller Frauen beschreibt, in der erst dann Probleme entstehen, als Männer den Schauplatz betreten.
Herta Müller, 2009
Von Verhören, Hausdurchsuchungen und Todesdrohungen wurde Herta Müller in ihrer kommunistischen Heimat Rumänien heimgesucht, bis sie 1987 nach Berlin flüchtete. Lange Zeit wirkte die mutige Intellektuelle als Writer in Residence im In- und Ausland. In ihren Werken beschrieb sie „Landschaften der Heimatlosigkeit“ in einer so eindringlichen sprachlichen Intensität, dass ihr 2009 der Literaturnobelpreis dafür verliehen wurde.
Alice Munro, 2013
Die große Kunst der kleinen Geschichte beherrscht Alice Munro wohl wie keine andere. Das Lebenswerk der Kanadierin umfasst etwa 150 Kurzgeschichten, die ein schillerndes Kondensat komplexer Gefühlswelten bilden. Alice Munro war Hausfrau und Mutter, als sie mit dem Schreiben anfing. Ihren ersten Erzählband veröffentlichte sie im Alter von 37 Jahren, 25 Jahre später hielt sie als meisterliche Vertreterin der amerikanischen Short Story den Literaturnobelpreis in Händen.

Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch, 2015
Sie wollte das Leben so abbilden, wie es ist und entwickelte für ihr Vorhaben eine literarische Methode, die ihr einen Blick aus nächster Nähe erlaubte: Für ihre Bücher, wie etwa „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“, sammelte die Weißrussin Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch Interviews über die Schicksale sowjetischer Soldatinnen im Zweiten Weltkrieg. Für ihre Collagen des täglichen Lebens und ihre außergewöhnliche Dokumentarprosa erhielt sie 2015 den Literaturnobelpreis.
Olga Tokarczuk, 2018
Neben ihrem Studium arbeitete die polnische Schriftstellerin und Psychologin in einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche, später in einer Klinik für psychische Gesundheit. Menschliche Tragödien und Schicksale studierte Olga Tokarczuk aus nächster Nähe, was sie zu Romanen wie „Letzte Geschichten“ befähigte, die entsetzlich nah am Leben aber auch entsetzlich schwer auszuhalten sind. Diese Gabe „für das Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben“ wurde 2018 schließlich mit dem Literaturnobelpreis honoriert.

Louise Glück, 2020
Für ihre „unverwechselbare poetische Stimme“ wurde der US-amerikanischen Lyrikerin Louise Glück 2020 der Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Ihre Gedichte handeln oft von Schmerz, Tod oder gescheiterten Beziehungen, doch: „Man kann immer etwas machen aus Schmerz“, setzt eines ihrer frühen Gedichte ein.
Annie Ernaux, 2022
„Man war überrascht, in diesem Moment an genau diesem Ort zu sein, alles erreicht zu haben, was man gewollt hatte, einen Mann, ein Kind, eine eigene Wohnung“, schreibt Annie Ernaux in ihrer 2008 erschienenen Autobiographie „Die Jahre“. Ihre Werke behandeln wiederholt ihren schwierigen Weg vom Arbeiterkind zur Literaturnobelpreisträgerin und ihrem inneren Zwist, sich zu einem Milieu zugehörig zu fühlen. Aus nächster Nähe schreibt sie über Scham und Elend und wird damit zu einer unverzichtbaren Stimme für prekäre Verhältnisse unserer Gesellschaft.

Welche Schriftstellerinnen haben Sie im Laufe Ihres Lebens inspiriert? Gibt es Vorbilder, zu denen Sie aufblicken? Hinterlassen Sie uns die Namen und Werke Ihrer Idole in den Kommentaren. Wir vom novum Verlag wünschen Ihnen einen wundervollen Weltfrauentag und ein Bouquet voller Poesie!
Lassen Sie Ihrer Tastatur freien Lauf,
Ihr novum Verlag
Leave a Comment