Anna Stomosis ist Model, Influencer*in und Aktivist*in für Fat Liberation. In einem bewegenden Essay erzählt er*sie, wie es ist, in einer heteronormativen Gesellschaft non-binär und auch noch fett zu sein.

© Sarah Tasha Hauber für YEOJA Mag

Letztes Jahr haben wir vom novum Verlag im Pride Month Juni queere Gedichte und Kurzgeschichten gesucht. Unser #Wortwechsel Kurzgeschichtenwettbewerb bietet jedes Jahr zwei Autor*innen die Möglichkeit, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und in unserer Anthologie zu veröffentlichen. Unter den vielen Einreichungen zu unserem #Wortwechsel in der Queer Edition hat uns die von Anna Stomosis beeindruckt, die einen Ausschnitt der Wirklichkeit beleuchtet, der bislang noch wenig öffentliche Beachtung erfahren hat: Die Frage nach der eigenen Identität, wenn man einfach in keine Norm passen will – auch nicht die des queeren Spektrums.

Über den ganz persönlichen Weg zur Gender-Identität als fette, non-binäre Person hat Model und Aktivist*in Anna Stomosis, die*der auf ihrem Instagram Kanal Radical Fat Acceptance, Fat Liberation und Joyful Movement eine Stimme gibt, in einem sehr persönlichen Essay geschrieben. Das ist Annas Geschichte.


© Sarah Tasha Hauber für YEOJA Mag

»Mein Weg zu meiner Gender-Identität . In fett. Ein Weg mit Erfahrungen, den viele fette, nicht binäre Personen teilen«, von Anna Stomosis

Fette Menschen – vor allem fette, weiblich gelesene Personen wie ich – stehen oft vor einer schier unüberwindbaren Mauer, wenn sich der Gedanke in Richtung Gender Non Conformity oder Nichtbinarität bewegt.

Als fette Person, assigned female at birth (afab), hat dieser Weg eine ganz besondere Hürde, die ohne Fett vielleicht nicht vorhanden gewesen wäre. Wenn man an nicht binäre Menschen denkt, dann gibt es ein sehr starres Bild – weiß und schlank – „androgyn“.

Zeit meines Lebens habe ich mich irgendwie falsch gefühlt. Ich konnte mich wenig mit weiblich konnotierter Kleidung identifizieren. Wenn ich es konnte, dann war nicht der Kontext „weiblich gelesene Person trägt ein Kleid“ passend, sondern fast schon eine Verkleidungssituation, in der das Kleid eben besser passte, aber niemals wirklich aus einem „Ich bin eine Frau, ich ziehe gerne Kleider an“-Gefühl heraus . Damals gab es dafür keine Bezeichnung, es war nicht mal etwas, worüber man redete. Es war einfach so.

Fast forward in meinen Zwanzigern und um einiges fetter als mein Teenager-Ich. Sexualisierung habe ich – leider wie die meisten weiblich gelesenen Personen – schon sehr früh erfahren, mit dem Fett dazu wurde das aber auf einmal auf ein ganz neues Level gehoben. Auf einmal musste ich mich mit meinem Geschlecht auseinandersetzen- Als fette, weiblich gelesene Person wird man nicht nur ständig sexualisiert, man wird auch abgewertet – der Selbstwert knickt, plötzlich ist „fuckability“ im Spiel .

Dieser Körper, von dem man überhaupt nicht weiß, wo er hingehört, wird in ein Raster gepresst – die fette Frau. Gleichermaßen als immer erotisch für die einen und als abstoßend für die anderen. In einer patriarchalen Welt wächst man jetzt natürlich mit dem Gedanken auf, gefallen zu müssen, Männern gefallen zu müssen. Der Wert wird auf einmal an völlig fremde Personen geknüpft, man vergisst, dass man sich als Teenager in eher maskuliner Präsentation wohler gefühlt hat – jetzt mit der „Reife“ muss auf einmal eine Kategorisierung her. Also auf zur hyperfemininen Seite – Pin-up und Make-up – es gilt, unendlich viel Zeit für das äußerliche Erscheinungsbild aufzubringen, permanent den Bauch einzuziehen – und sich über Jahre wieder irgendwie falsch zu fühlen . Korsette und Shapewear müssen getragen werden, weil Fett will in eine akzeptable Form gepresst werden, um eher auf der sexualisierten Seite zu stehen als auf der herabgewürdigten, ohne dabei zu begreifen (noch nicht), dass beides dasselbe ist. Immer schön lächeln, wenn innerlich alles zusammenkrampft. Und immer noch sich falsch fühlen.

»Immer schön lächeln, wenn innerlich alles zusammenkrampft. Und immer noch sich falsch fühlen.«
© Felix Erler-Fernandez

Irgendwann auf einmal passiert es – Sprache verändert sich, plötzlich ist man umgeben von Menschen, die ihrer Geschlechtsidentität einen Namen geben können. Aber nein, sicher nicht, unmöglich – weil da sind sie, weiße, schlanke Personen, nicht binär. Es erscheint so einfach, sich androgyner zu präsentieren. Gender ist so oft „unlesbar“. Nein, das kann nicht sein. Unmöglich . Alles an diesem Körper schreit dominanzgesellschaftlich betrachtet „Frau“ . Fette „Frau“. Also weiter mit der Hyperfeminität, weiter mit der Hypersexualisierung – jetzt aber „selbstbestimmt“, empowered – man benennt das eigene Fettsein, erobert Wörter zurück. Booty Shots, die Kurven hervorheben, Posen lernen, um noch weiblicher zu erscheinen. Und immer noch absolut nicht ahnend, dass man damit weiter zu seiner eigenen Kategorisierung beiträgt, weil es der einzige Weg zu sein scheint.

Trotzdem verschwindet die Genderidentität „nicht binär“ nicht mehr aus dem Kopf, vermischt mit dem Gedanken, dass man das unmöglich selbst sein könnte. Immer mehr nicht binäre Menschen, die ihre Identität offen tragen – sie sind wieder schlank. Viele Gespräche, viele Momente, in denen oft eine hochgezogene Augenbraue auffällt, sobald eine fette Person Gedanken über die eigene Identität teilt. Ja richtig, fett kann das nicht sein.

Jahre vergehen, bis langsam das Außen und das Innen immer disharmonischer werden und diese Inkongruenz immer schwerer auszuhalten wird. Man versucht einfach mal, wieder die Kleidung zu tragen, die dem „Innen“-Gefühl entspricht. Man bewegt sich „anders“ – so, wie es sich richtig anfühlt. Man fühlt sich „anders“ – mehr bei sich –, aber man wagt immer noch nicht, daran zu denken, dass das schon ein Teil der Antwort sein könnte.

Bis irgendwann der Punkt kommt, wo man beginnt, mit Freund(inn)en zu sprechen, ihnen zu erklären, wie man sich fühlt, und sie darum bittet, zukünftig nicht mehr als „Frau“ oder „sie“ bezeichnet zu werden – eine Handvoll Menschen, die dem, ohne mit der Wimper zu zucken, nachkommen. Es fühlt sich wie ein Ausprobieren an, wie ein Testen, ob dieses Ungleichgewicht zwischen meiner Präsentation nach außen und dem, was in mir ist, damit etwas mehr ausbalanciert wird. Und das tut es, trotzdem ist da dieser eigene Blick auf sich selbst – fernab von Kleidung – dieser Blick auf den Körper, der sich nicht mit dem eigenen Gefühl deckt, aber nicht etwa, weil die Brüste Unwohlsein auslösen oder meine Formen mir nicht gefallen würden, sondern weil ich über all die Jahre der Doktrin nicht weiß, wie ich diesen Körper als das sehen soll, was er ist – ein nicht binärer Körper. Nicht weil sekundäre Geschlechtsmerkmale als männlich oder weiblich eingeteilt werden, sondern weil ich diesen Fremdwahrnehmungsfilter nicht abnehmen kann. Ich sehe, was die Welt sieht, und es passt nicht zu dem, was ich für kurze Momente jeden Tag sehe – meinen nicht binären, fetten Körper.

Also kompensieren. Mit hypermaskuliner Kleidung. Rasche Dysphorie in „weiblicher“ Kleidung, nicht weil mir die Kleidung nicht gefällt oder weil ich darin schlecht aussehe, sondern weil ich weiß, dass ich in diesen Outfits schon gar nicht mehr „unlesbar“ bin (was ich auch in neutralerer Kleidung schwerer bin – weil fett). Ich fühle die Blicke und Gedanken, über Jahre freiwillig der permanenten Sexualisierung ausgesetzt, mit großer sozialer Plattform, man hört die Kommentare, man hat jeden Tag erlebt, WIE man gelesen wird. Die Reise geht weiter…

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass diese Erfahrung kein Einzelfall ist. Dieses Tauziehen um die Hoheit im eigenen Körper. In einem Körper, der zuallererst fett ist, der sich also sowieso „falsch“ anfühlt. In einer Welt, die jeden Menschen von klein auf dahin gehend prägt, nur ja nicht fett zu werden. In einem fetten Körper ist man zuallererst fett. Immer. Eine permanente, im öffentlichen Raum stattfindende Bewertung des „weiblichen“, fetten Körpers. Selbst in „sicherer“ geglaubten Räumen, selbst in den „reflektierteren“ Blasen.

© Felix Erler-Fernandez

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Weitere Kurzgeschichten und Gedichte zum Nachdenken finden Sie in unserer neuen Anthologie novum #13. Einen ersten Einblick in unsere vielfältige Neuerscheinung nehmen Sie hier:

Titel: „novum #13 Volume 1“ & „novum #13 Volume 2“ & „novum #13 Volume 3“ & „novum #12 Volume 4“ 
Herausgeber: Wolfgang Bader
Inhalt: Anthologie. Ein buntes Kaleidoskop unterschiedlichster Themen, Genres und Textsorten, mitunter autobiografisch geprägt, dabei stets mit literarischer Note und einer Botschaft an den Lesenden. Einige der Texte sind Auszüge aus einem Gesamtwerk.
Seitenanzahl: 220 (Volume 1) & 240 (Volume 2) & 212 Seiten (Volume 3) & 212 Seiten (Volume 4)
ISBN: 978-3-99146-003-9 (Volume 1) & 978-3-99146-007-7 (Volume 2) & 978-3-99146-008-4 (Volume 3) & 978-3-99146-009-1 (Volume 4)
Preis: € 18,90

Die novum #13 Anthologie ist in insgesamt vier Teilen erschienen. Den Beitrag von Anna Stomosis finden Sie in Volume 4. Hier geht es zur Buchbestellung von:

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