Im April 2019 wurde erstmals der Sarah-Samuel-Preis für Kurzprosa vergeben. Initiatoren des Preises sind Gerlinde und Harald Niederreiter, ein Autorenpaar mit beruflichen Wurzeln in Geschichte und Mathematik. Wir haben die Schriftsteller im Interview nach der Geheimformel für die vollendete Kurzgeschichte gefragt.  

Die Kunst der Kurzgeschichte fördern die beiden novum Verlag Autoren Gerlinde und Harald Niederreiter mit dem Sarah-Samuel-Preis für Kurzprosa. Für die Auszeichnung, die in gemeinschaftlicher Mission mit dem Literaturarchiv Salzburg und dem Literaturhaus Graz verliehen wird, stiftet das Autorenpaar jedes Jahr das ambitionierte Preisgeld von € 10.000,- Euro. Vergeben wird der Sarah-Samuel-Preis, der zum ersten Mal 2019 ausgeschrieben wurde, an versierte Stellvertreter der Kunstform Kurzprosa. Dieses Jahr wurde der deutschen Autorin Judith Schalansky der Preis für ihren Kurzgeschichtenband „Verzeichnis einiger Verluste“ verliehen. Dass mit diesem Buch ein Werk ausgezeichnet wurde, dem es weder an Realitätsschärfe, noch an sensibler Sprach- und Stilprägung mangelt, lässt auf ein Verständnis des Genres schließen, das in der Literaturbranche lange vergessen gemeint war. Denn auch, wenn die Kurzgeschichte nach straffer Geradlinigkeit verlangt, so statuiert der Preis doch ein Exempel an dem, was die Kurzgeschichte außerdem sein darf: Anspruchsvoll, sowohl im Inhalt als auch im Stil. Denn nur wer beides beherrscht, Text und Kontext, kann in der Königsklasse der Prosa bestehen – und sein Publikum halten.

Der Kunst der Kurzgeschichte trägt der Sarah-Samuel-Preis für Kurzprosa gleichgewichtige Rechnung

Vom Fakt zur Fiktion. Die Autoren hinter dem Sarah-Samuel-Preis für Kurzprosa

Ein Publikum, das es neu zu gewinnen gilt, wenn es nach den Preisinitiatoren Gerlinde und Harald Niederreiter geht. Kurzgeschichten eigneten sich vor allem für die kurze Botschaft zwischendurch, den Denkanstoß zwischen den S-Bahn-Stationen. Um- und Irrwege seien nicht erlaubt, die gelungene Kurzgeschichte führe ihren Leser ohne auszuscheren ins Ziel. Ein hohes Motiv, für das der Sarah-Samuel-Preis einen angemessenen Ansporn bietet. Welche Ziele der Preis außerdem verfolgt, welchen persönlichen Bezug das Autorenpaar zur Literatur hat und wie es einen von der Mathematik zur Literatur verschlägt, haben uns Gerlinde und Harald Niederreiter in einem Kurzinterview verraten:

1. Mit dem Sarah-Samuel-Preis für Kurzprosa öffnen Sie einen neuen Raum für die Gattung Kurzgeschichte. Welchen Stellenwert hat das Genre für Sie?

Wir betrachten die Kurzgeschichte als gleichrangig mit dem Roman, vor allem weil sie vom Autor und von der Autorin viel Disziplin und in der kompakten Form eine große Kunstfertigkeit und Präzision verlangt. Im deutschsprachigen Raum wird das leider nicht so gesehen. Daher haben wir unseren Preis gerade für Kurzprosa in deutscher Sprache ausgelobt.

2. Dieses Jahr wurde die deutsche Schriftstellerin Judith Schalansky für ihr Buch „Verzeichnis einiger Verluste“ mit dem Preis ausgezeichnet. Unter anderem begeisterte die Jury das „breite Spektrum an Möglichkeiten“, das Schalansky bediente und „das die Kurzprosa heute als eine aktuelle literarische Ausdrucksform hat.“ Was macht für Sie eine wirklich gute Kurzgeschichte aus?

Eine gute Kurzgeschichte sollte von einer originellen Handlung getragen werden, welche die Leserschaft von Anbeginn packt, und es schadet auch nicht, wenn der Plot mit einem überraschenden Ende aufwartet. Als Minimum sollte wirklich etwas erzählt und nicht nur eine Stilübung verabreicht werden. Wichtig ist überdies, dass sich der Autor an die Hauptroute der Geschichte hält und sowohl Nebenwege als auch überflüssige Szenen oder Personen ausspart. Straffen, straffen und nochmals straffen, so lautet eine entscheidende Devise beim Schreiben einer guten Kurzgeschichte.

3. Gibt es auch eine persönliche Faszination für die Kurzprosa? Welche Autoren haben sich in der Kunst der Kurzgeschichte Ihrer Auffassung nach besonders hervorgetan?

Wir sind besonders von englischsprachigen und französischsprachigen Kurzgeschichten, den short stories und contes, geprägt. Die bedeutenden Meister des Genres sind unserer Meinung nach James Joyce, Somerset Maugham und V.S. Naipaul sowie Guy de Maupassant.

4. Im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“ bezeichnen Sie Kurzgeschichten als „die optimale Lösung für Öffi-Fahrgäste“. Lesende Fahrgäste sind in der Gegenwart allerdings zur Rarität geworden. Viel mehr hat das Smartphone einen neuen Stellenwert zur Zerstreuung zwischen den Stationen eingenommen. Verfolgen Sie mit dem Sarah-Samuel-Preis das Ziel, die Leute wieder weg vom Smartphone hin zur Literatur zu ziehen?

Das ist sicherlich ein Aspekt. Denn ganz hat die Literatur den Kampf um die Aufmerksamkeit noch nicht verloren. Zum Beispiel hält so mancher Bahnreisender zwar kein Buch, dafür aber ein Gerät zum Lesen von e-books in der Hand.

5. Sie selbst haben im novum Verlag unter dem Pseudonym Sarah Samuel bereits zwei Romane, „Das Lazarettkind“ sowie „Schwarzer Halbmond“ veröffentlicht. Planen Sie auch einen Band mit Kurzgeschichten?

Wir haben in der Tat bereits einen ansehnlichen Band mit Kurzgeschichten verfasst und suchen jetzt einen Verlag dafür. Und da stößt man auf ein Manko im literarischen System, denn die Verlage im deutschsprachigen Raum wollen eigentlich nur Romane und ein klein wenig Lyrik publizieren. Vielleicht kann unser Preis da auch etwas verändern.

6. Warum haben Sie sich für eine Publikation im novum Verlag entschieden? Welche Erfahrungen mit dem novum Verlag haben Sie gemacht?

Der novum Verlag hat unsere Romane ziemlich rasch angenommen und exzellent lektoriert. Verbesserungsbedarf sehen wir vielleicht noch in der Vermarktung. Da muss man als AutorIn mitunter auch Eigeninitiative beweisen.

7. Welche Hintergrundgeschichte verbirgt sich hinter Ihrem Pseudonym Sarah Samuel? Wieso haben Sie sich für dieses entschieden?

Ein Werk mit dem Autorennamen „Gerlinde und Harald Niederreiter“ würde wohl kaum jemand zur Hand nehmen. Deswegen haben wir uns für ein Pseudonym entschieden. Dabei stammt „Sarah“ von einem netten Mädchen in unserer Nachbarschaft und „Samuel“ von Samuel Beckett, den wir sehr schätzen.

8. Ihren Schreibstil beschreiben Sie doch sehr vielfarbig. Während Sie, Frau Niederreiter, das Tragisch-Überraschende verarbeiten, trägt Ihr Stil, Herr Niederreiter, mehr die Klangfarbe des Sarkastisch-Satirischen. Wie lassen sich beide Schreibstile in einem Buch vereinen?

Das ist an sich kein Problem, da ja im Tragischen oft auch das Absurde wohnt. Gerade Samuel Beckett war ja ein Meister darin, diesen Dualismus darzustellen. Wir finden, dass ein satirischer Unterton da und dort die Lektüre für die Leserschaft unterhaltsamer macht, auch wenn ernste Themen abgehandelt werden.

9. Wie darf man sich die gemeinsame Arbeit an einem Buch vorstellen? Wie organisieren Sie die Arbeitsteilung?

Wir gehen gerne Kapitel für Kapitel vor. Erst wenn wir mit einem Kapitel gänzlich zufrieden sind, fangen wir mit dem nächsten an. Immer beginnt einer von uns mit einer Rohfassung, und dann geht der Text hin und her, wie bei einem literarischen Pingpongspiel, bis er fertig poliert ist.

„Straffen, straffen und nochmals straffen, so lautet eine entscheidende Devise beim Schreiben einer guten Kurzgeschichte.“

10. Ihre Geschichte ist sehr bewegt, Ihre Berufe haben Sie durch die ganze Welt, von Wien nach Jamaika, Singapur, Saudi Arabien, Australien, China, Deutschland, Frankreich und Taiwan geführt. Wie kommt man von der Mathematik und der Geschichte zur Schriftstellerei?

Wir hatten immer schon ein lebhaftes Interesse an Theater und Literatur. Harald hat sogar als Mittelschüler mit dem Gedanken gespielt, Vergleichende Literaturwissenschaft zu studieren. Während unserer ereignisreichen beruflichen Laufbahn war jedoch aus zeitlichen Gründen absolut nicht an schriftstellerische Tätigkeit zu denken. Seitdem wir aber beide in Pension sind, können wir unserer literarischen Leidenschaft frönen.

11. Ihre Bücher zeugen von hoher sprachlicher Qualität. Ihr Stil ist geprägt von geduldigem Feinsinn und Ihre Technik lässt auf ein dichtes literarisches Fundament schließen. Woher kommt Ihr tiefes Verständnis für Sprache und Literatur?

Zunächst einmal vielen Dank für das Lob. Es freut uns natürlich, wenn die harte Arbeit an unseren Texten gewürdigt wird. Beim Feilen am Ausdruck und am Stil hilft es uns naturgemäß, dass wir viel gelesen haben, vor allem die großen Werke der Weltliteratur. Da liegt dann die Latte sehr hoch, und wir versuchen eben, uns im Rahmen unserer Möglichkeiten danach zu strecken.

12. Welchen Tipp können Sie Schriftstellern geben, die gerade noch am Beginn ihrer Karriere stehen?

Am besten zitieren wir da aus unserem Theaterstück „Die Dorflesung“, in dem ein erfahrener Schriftsteller einem jungen den folgenden Ratschlag erteilt: „Der angehende Schriftsteller benötigt zwei Arten von Mut: Unerschöpflichen Langmut und buddhistischen Gleichmut. Aber bitte keine Demut und keinen Opfermut!“

Vielen Dank für das spannende Gespräch!


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