Auf der Suche nach einem sicheren Hort begeben sich Mia, Jonas und Bertram auf unsicheres Terrain – mit schrecklichen Folgen. Gastautor Maik Gädecke führt unsere Fortsetzungsgeschichte mit einem spannungsgeladenen Kapitel 11 an ihr Finale heran.

„Bertram?“, fragte die raue Stimme des hageren Mannes hinter der halb geöffneten Tür.

„Jared?“, entgegnete der Angesprochene in einer ebenso unsicheren Tonlage wie sein Gegenüber. Von oben bis unten beäugte Bertram den Menschen, den er, seit er denken konnte, drei Jahrzehnte seinen besten Freund genannt hatte. Er wirkte wie ausgewechselt, irgendwie viel älter und schwächer als er selbst, obwohl sie im selben Alter waren. Gut, es war über zwanzig Jahre her, seit er Jared das letzte Mal begegnet war und er war schon damals stets ein dünner Hering gewesen, aber er hätte überhaupt nicht erwartet, dass er seinen früheren Weggefährten in einer so schlechten Verfassung antreffen würde.

Jared verrenkte seinen runzlig gewordenen Kopf nach draußen, um einen vorsichtigen Blick auf Bertrams Begleiter zu erhaschen. Mia wand sich innerlich, als der Alte sie aufeinmal eindringlich aus seinen grauen Augen anstarrte. Seine Haut war so trocken und bleich wie Kreide. Ähnlich wie Maserungen im Holz zierten tiefe Furchen sein Gesicht. Wilde Barthärchen wucherten vereinzelt aus seinen Wangen. Das fettige, weiße Haar fiel ihm strähnig auf seine Stirn.

Also besonders sympathisch ist er mir nicht, teilte sie Jonas in Gedanken ihren ersten Eindruck von Jared mit – sorgsam darauf bedacht, keinerlei Mimik zu verziehen, da sein Augenmerk immer noch voll und ganz auf sie gerichtet war.

Da sind wir schon mal zu zweit, stimmte er ihr, wenn auch mit einem deutlichen Schmunzeln, zu. Dann wurde er sofort wieder ernst und fügte hinzu: Aber wie es scheint, ist er ein einstiger guter Bekannter aus Bertrams Vergangenheit. Bestimmt ist er ziemlich nett, wenn wir ihn erst richtig kennenlernen.

 Trotzdem finde ich die Art, wie er mich ansieht, merkwürdig, erwiderte Mia.

Bertram konnte sich nur zu gut vorstellen, an was, oder besser gesagt an wen, Bertram beim Anblick von Mia denken musste. Sie sah seiner verstorbenen Frau einfach zu ähnlich. Linda – mit Bedauern, das auch nach all den Jahren nicht weniger geworden war, durchzuckte ihn plötzlich eine verstaubte Erinnerung an jene Zeiten, in denen Jared und er durch dick und dick gegangen waren. Blitzschnell rasten die Bilder vor seinem geistigen Auge vorbei. Es waren so viele Erlebnisse, die sie gemeinsam durchgestanden hatten. Stets hatte ihre Freundschaft jedes Problem gemeistert, bis plötzlich Linda in ihrer beiden Leben aufgetaucht war. Sowohl Bertram als auch Jared waren in sie verliebt gewesen und beide waren, egal, was es kostete, erpicht darauf gewesen, sie für sich zu gewinnen. Schließlich hatte Bertram gesiegt und doch verloren, indem er seinen einzigen und besten Freund, der vor Frust und Kummer nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, loslassen musste. So waren die Jahre verflogen und sie hatten sich nie wieder gesehen. Bis heute.

„Was treibt dich denn nach dreiundzwanzig Jahren wieder zu mir?“, riss ihn Jared, ein unergründliches Grinsen im Gesicht, aus seinen Gedanken.

Bertram machte eine ausladende Geste zu seinen Begleitern und begann zu erzählen: „Wir sind auf der Durchreise und wollten für eine Nacht einen Zwischenstopp bei dir einlegen, also nur, wenn du nichts dagegen hast.“

 „Natürlich habe ich nichts dagegen! Schön, dass wir uns nach einer halben Ewigkeit endlich mal wiedersehen. Komm doch rein“, bat er, während er die Tür quietschend aufriss und fügte hastig hinzu: „Wir haben Einiges zu besprechen.“

Drinnen war es ziemlich düster und stickig. Die verwahrlosten Zimmer erschienen Mia fast wie ein Spiegel ihres ungepflegten Hausherrn. Alte Teppiche bedeckten den maroden Holzboden, dessen Latten bei nahezu jedem Schritt ein gequältes Ächzen von sich gaben. Was für eine Bruchbude, dachte sie mit einen mulmigen Gefühl in der Magengrube.

„Wir haben sogar zwei Flaschen Ouzo mitgebracht“, merkte Bertram an. „Na und?“ Jared schien plötzlich wie auf Knopfdruck gereizt zu sein. „Ich hasse Ouzo!“ Die Atmosphäre wirkte mit einem Mal elektrisch geladen. „Sorry. Du… Du hast das früher oft getrunken. Egal. Wir brauchen sie nicht unbedingt zu trinken“, stammelte Bertram unsicher.

Still folgten sie Jared, aber in Mia läuteten die Alarmglocken. Irgendetwas stimmte nicht. Sie überlegte kurz, ehe sie bemerkte, was faul war. Die Luft wirkte völlig geruchlos, so als wäre jeglicher Eigengeruch aus den ramponierten Zimmern gesaugt worden. Dies konnte nur eins bedeuten: Wir wurden erwartet!, warnte sie Jonas sofort. Es ist eine Falle!

 Dann müssen wir w-

„Ihr müsst rein gar nicht weg!“, verwarf Jared Mias Einwurf, noch bevor sie ihn zu Ende denken konnte. Mia und Jonas wechselten entgeisterte Blicke.

Die Tarnung war aufgeflogen, doch das war egal. Nun waren sie ja schließlich in der Höhle des Löwen gefangen. Der alles entscheidende Kampf konnte beginnen. In nur einer Sekunde nahm Jared vor ihnen die Gestalt eines Mädchens an. Ihr Gesicht war eine einzige dämonische Fratze.

Bertram schrie und ließ entsetzt die Flaschen auf den Boden fallen, wo sich schon rasch die wachsenden Schatten von Nele ausbreiteten.

Fortsetzung folgt!


Das elfte Kapitel der Geschichte „Der Anfang des Zaubers“, entstand im Rahmen der novum Verlag Kampagne, „Fortsetzung folgt“, in deren Rahmen ein virtuelles Sammelwerk aus der Feder verschiedener Autoren entstehen soll. Das kollektive Kunstwerk hat die Förderung und Inspiration von werdenden und etablierten Schriftstellern über den novum Corporate Blog zum Ziel. Wir bedanken uns bei Gastautor Maik Gädecke, der mit seinem elften Kapitel für einen echten Cliffhanger gesorgt hat.

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Bisher erschienene Kapitel von „Der Anfang des Zaubers“:

Kapitel 1: Hans-Peter Fitze
Kapitel 2: Miriam Schwardt
Kapitel 3: Udo Rottmann
Kapitel 4: Janine Holstein
Kapitel 5: Joline Laura Halbach
Kapitel 6: Anke Leuschke
Kapitel 7: Elena Probst
Kapitel 8: Silvia Drach
Kapitel 9: Janine Holstein
Kapitel 10: Beatrice Reinisch
Kapitel 11: Maik Gädecke


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