Die Schatten greifen nach Mia und ihren Begleitern. Gemeinsam mit Bertram gelingt den Empathen die Flucht. Doch wo sollen sich die drei Gefährten verstecken? Gastautorin Beatrice Reinisch spitzt die seltsamen Begebenheiten um Mia und ihren Seelenverwandten im zehnten Kapitel unseres Fortsetzungsromans weiter zu.

Jonas hatte die Muschel in der Nähe des Felsens zurückgelassen. Der Schatten des Felsens wurde länger und länger, bis er schließlich die Muschel erreichte. Ein klein wenig begann sie zu zittern, als würde sie vom Wind bewegt, dann zersprang sie. Der Schatten zog weiter, in Richtung Bertrams Hütte.

„Wird die Entfernung zu groß, verlieren wir uns…“ – Bertram spulte Jonas Worte immer und immer wieder in seinem Kopf ab. Und er sah sich und seine Frau dazu tanzen – im Sonnenlicht, auf der Wiese, am Strand. Er vermisste sie. Er wollte sie in den Arm nehmen.

Mia hatte Jonas einfach packen und aus der Hütte ziehen wollen. Doch ihr Blick streifte Bertram, der ins Leere starrte und nicht zu bemerken schien, wie ihm eine einzelne Träne über die Wange lief. Jonas, rief sie ihm in Gedanken zu, wir können Bertram nicht zurücklassen. Sie haben ihn!

Wenn wir ihn mitnehmen, können die Schatten uns erst recht folgen. Jonas spürte, wie Mia mit sich kämpfte. Sie wusste, dass er Recht hatte. Und er wusste, was sie antworten würde:

Wenn wir ihn zurücklassen, sind wir nicht besser als die Schatten, die ihn in den Selbstmord treiben werden… oder Schlimmeres.

Er nickte. Laut sagte er: „Bertram, wie kommen wir von dieser Insel weg?“

Bertram zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Etwas verwirrt kämpfte er sich in die Gegenwart zurück und runzelte die Stirn. „Im Hafen gibt es eine Fähre, die jede Stunde zum Festland fährt.“

Mia nickte. „Gut. Kannst du uns dorthin bringen?“

Bertram schien in den letzten Minuten um Jahre gealtert zu sein. Nach einigen Sekunden nickte auch er und erhob sich, um seinen Autoschlüssel zu suchen. Es kostete ihn Mühe aufzustehen. Aber Mia hätte er die Bitte ohnehin nicht abschlagen wollen.

Die Fahrt in dem alten, klapprigen Toyota verlief holprig und schweigsam. Mia genoss Jonas Nähe. Plötzlich erinnerte sie sich wieder: An den Kampf. An die Menschen, die sie verloren hatten. An Nele, das kleine Mädchen am Straßenrand, das nie verstehen würde, warum ihre Mutter nicht zurückkehrte. Wut, Schmerz und Angst hatten ihr Gesicht verzerrt. Mia hatte ihr Trost spenden wollen, Hoffnung. Doch bei dem Versuch eine emotionale Bindung aufzubauen, war sie völlig überrumpelt worden von dem Dunkel, dass von Nele Besitz ergriffen hatte. Statt Nele an ihren Gefühlen teilhaben zu lassen und sie zu schützen, war Mias Gefühlswelt nahezu in einen Abgrund getorkelt, vergleichbar mit einem schwarzen Loch, das ihre Emotionen aufsaugte.

Jonas hatte damals gespürt, was vor sich ging und sie gerettet, indem er sie an den Schultern gepackt, weggezogen und solange geschüttelt hatte, bis er mit seinen Gedanken und seinen Worten wieder zu ihr durchdringen konnte. Dann waren sie beide geflohen. Geflohen vor einem vielleicht neunjährigen Kind, das ganz offensichtlich die Macht hatte, Empathen in sich aufzusaugen.

Es schien den Schatten nicht zu gefallen, dass sie entkommen waren. Und den Versuch unterzutauchen, hätten sie beinahe mit ihrer Existenz bezahlt. Mia wagte nicht darüber nachzudenken, was geschehen wäre, wenn die Schatten die Muschel vor ihr gefunden hätten.

Nun, sie hatten es mit Flucht versucht. Doch offensichtlich wurden sie zum Kampf gezwungen.

Mia richtete sich auf dem Rücksitz des Toyotas etwas auf und blickte Jonas fest in die Augen: „Wir müssen herausfinden, was es mit Nele auf sich hatte.“

Bertram räusperte sich auf dem Fahrersitz. In den letzten Minuten war sein Blick wieder deutlich klarer und seine Haltung etwas aufrechter geworden. Und auch seine Gedanken hatte er etwas geordnet. „Wo auf dem Festland wollt ihr unterkommen? Habt ihr eine Bleibe?“ Seine beiden Mitfahrer schüttelten den Kopf. „Ich habe einen Bekannten in der Stadt, etwa drei Stunden Fahrt vom Fährhafen entfernt. Mit einer Flasche Ouzo kann ich ihn sicher überreden, dass er euch für eine Nacht aufnimmt.“

Mia blickte Jonas fragend in die Augen. Ist das sicher? Für Bertram und seinen Bekannten?

Jonas überlegte kurz. Na ja, mit unseren Fähigkeiten zu dir auf die Insel zu kommen, hat die Schatten unsere Energie deutlich spüren lassen. Wenn wir uns bewegen wie Menschen, hinterlassen wir eine weniger deutliche Fährte. Aber Bertram stand schon unter ihrem Einfluss. Wenn sie nahe genug kommen, können sie ihm folgen. In einer Stadt mit vielen Menschen sollte uns ein Tag Vorsprung reichen, aber dann müssen wir weiter.

Mia schmunzelte. Immerhin würde es bedeuten, dass Bertram uns noch eine Weile begleitet, weg von den Schatten.

Jonas grinste schief. Ich fürchte, unsere Begleitung führt die Schatten auf Dauer wieder zu ihr zurück. Er ist ein Spiel für sie. Oder vielleicht sogar eine Nebenwirkung. Uns verfolgen sie mit Eifer.

Mia senkte den Blick. Du hast Recht. Eine Nacht, nicht mehr.

Jonas hob amüsiert eine Augenbraue. Er bezweifelte, dass Mia Bertram nach einer Nacht aus den Augen lassen würde. Laut antwortete er: „Das würde uns weiterhelfen. Danke, Bertram.“

Am späten Abend erreichten sie ihr Ziel mit zwei Flaschen Ouzo als Gastgeschenk im Gepäck. Kurz bevor sich die Haustür öffnete, hörte Mia die Stimme wieder: „Vertraue niemandem! Sie stecken da alle mit drin!“

Fortsetzung folgt!


Das zehnte Kapitel der Geschichte „Der Anfang des Zaubers“, entstand im Rahmen der novum Verlag Kampagne, „Fortsetzung folgt“, in deren Rahmen ein virtuelles Sammelwerk aus der Feder verschiedener Autoren entstehen soll. Das kollektive Kunstwerk hat die Förderung und Inspiration von werdenden und etablierten Schriftstellern über den novum Corporate Blog zum Ziel. Wir bedanken uns bei Gastautorin Beatrice Reinisch, die die Geschichte mit einem spannungsgeladenen zehnten Kapitel in die Verlängerung geschickt hat.

Sie haben schon eine Idee, wie die Geschichte weitergehen könnte? Dann schicken Sie uns Ihren Beitrag für Kapitel 11 noch bis 7. Oktober 2018 an newsletter@novumverlag.com und vielleicht sind Sie schon der nächste Autor unserer unendlichen Geschichte, die im September veröffentlicht wird. Alle Informationen sowie die Teilnahmebedingungen finden Sie hier.

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Bisher erschienene Kapitel von „Der Anfang des Zaubers“:

Kapitel 1: Hans-Peter Fitze
Kapitel 2: Miriam Schwardt
Kapitel 3: Udo Rottmann
Kapitel 4: Janine Holstein
Kapitel 5: Joline Laura Halbach
Kapitel 6: Anke Leuschke
Kapitel 7: Elena Probst
Kapitel 8: Silvia Drach
Kapitel 9: Janine Holstein
Kapitel 10: Beatrice Reinisch


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