Die Welt drohte zu zerbrechen. Zu viele Wunden waren in den letzten Jahrzehnten dazugekommen. Die Welt lag im Sterben, und die Menschen bemerkten es nicht.

Erfahrungen mit dem novum Verlag

Und die Menschen, die es bemerkten, waren so wenige geworden, dass ihnen niemand mehr zuhörte. Allgemein hörte man nicht mehr zu. Hören tat man viel – aber zuhören war eine Seltenheit geworden. Man sah auch nicht mehr so viel wie früher. Auch wenn die Menschen glaubten, dass sie sahen – sie taten es nicht. Sie sahen vielleicht fern, aber weit sahen sie nicht. Deshalb stand es so schlecht um die Welt, denn weder hörte ihr jemand zu, noch sah jemand ihr Leid, und wenn, dann dachten sie sich klein und schwach und taten nichts dagegen. Außer dem Helden unserer Geschichte, Gambolio.

Gambolio war nämlich einer der Menschen, die bemerkt hatten, dass die Welt todkrank war, und dass sie, wenn es niemand verhinderte, auch sterben würde. Diesen Gedanken konnte er nicht ertragen. Er fasste einen Entschluss: er musste die Welt retten. Aber leider hatte er keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.

So trug es sich zu, dass Gambolio eines Tages wieder einmal in seinem Tannenzapfenwald war, und darüber nachdachte, wie er denn die Welt retten könnte. Und wie er so über diesen und jenen Weltretter-Plan grübelte, bemerkte er, dass er auf einem Pfad unterwegs war, den er noch nie vorher bemerkt hatte. Ein Pfad, über dem sich die Bäume wie ein Gewölbe zusammenschlossen und ein wunderschönes Dach aus Blättern bildeten. Er ging den Pfad langsam entlang. Plötzlich hörte er etwas.

Das Tränenelixier

Das Geräusch klang wie helle Glöckchen, und doch wieder nicht. Ganz leise nur drang es in seine Ohren, aber mit jedem Schritt wurde es ein klein wenig lauter. Und es wurde immer ein klein wenig heller, so als ob der Pfad zu einer Lichtung führte. Und siehe da – am Ende erwartete ihn tatsächlich eine große Wiese, und das Geräusch, das er gehört hatte, waren die Kinder gewesen, die auf ihr spielten. Sie lachten nämlich, sie zerkugelten sich regelrecht vor Lachen. Sie sprangen und jauchzten vor Freude, und keines von ihnen bemerkte ihn. Als er sich umsah, erblickte er ein Haus, ein wenig abseits von ihm. Es war nicht sehr groß, und sein Aussehen erinnerte Gambolio sehr an einen Kürbis. Vor dem Haus hing ein Schild. Gambolio traute seinen Augen kaum, als er die zwei Worte las, die darauf standen: „Weltretter, willkommen!“.

Zuerst konnte er sich gar nicht bewegen. Und auf einmal rannte er los. Er rannte zum Häuschen hin und sah sich das Schild nochmal aus der Nähe an. Diese zwei Worte standen wirklich da. Er konnte es kaum glauben. Hier würde er die Antwort auf sein Grübeln und seine Frage finden, da war er sich sicher. Aber wer hatte diese Worte hier hinterlassen? „Sei gegrüßt, Weltretter!“, sagte eine helle Stimme hinter ihm. Gambolio fuhr zusammen. Das hatte er jetzt wirklich nicht erwartet. Er drehte sich um, und eine Frau stand vor ihm, breit lächelnd. „Du bist ganz sicher hier, um dir ein wenig Tränenelixier zu holen! So komm, ich war gerade dabei wieder welches zu besorgen!“, sagte sie feierlich, und deutete ihm ihr zu folgen. Gambolio war so überrascht, dass er nichts sagen konnte, auch wenn ihm viele Fragen im Kopf herumschwirrten. Gerade in dem Moment, als Gambolio eine Frage stellen wollte, hielt die Frau ihre Hand in einen Sonnenstrahl, umschloss ein wenig von ihm mit ihrer Hand und begann ihn mit der anderen Hand zu formen. Gambolio musste blinzeln. Hatte er gerade wirklich richtig gesehen? Die Frau bewegte ihre Hände um die Lichtkugel herum, und auf einmal wurde das Strahlen weniger, um jedoch gleich von einem schimmernden Glanz ersetzt zu werden. Und auf einmal hielt die Frau genau ein Gefäß in den Händen. Ein Gefäß aus Sonnenstrahlen. Gambolio konnte es nicht glauben.

Wortwechsel

Die Frau drehte sich wieder zu ihm um und lächelte. „Denke nicht weiter darüber nach, das sind nur die Gefäße. Das Tränenelixier selbst ist das, was du brauchst.“, sagte sie. „Was ist denn das Tränenelixier?“, fragte Gambolio, der endlich seine Stimme wiedergefunden hatte. Die Frau lachte wieder und antwortete: „Die Freudentränen glücklicher Kinder. Die Macht, die es dir ermöglichen wird, die Welt zu retten.“ Und mit diesen Worten kamen auf einmal die Kinder zu ihr gelaufen. „Kinder, es ist wieder Zeit für eine Geschichte!“, rief die Frau, während sie die Kinder vor sich sammelte. „Jaaaaa, Geschichte, Geschichte!“, tönte es im Chor zurück. „Heute erzähle ich euch die Geschichte von Gambolio, einem Helden, der sich aufmachte, um die Welt zu retten“, sagte die Frau, und die Kinder kicherten aufgeregt. Gambolio war wie versteinert. Er stand da und hörte wie seine eigene Geschichte erzählt wurde. „Und er hatte noch immer keine Ahnung, dass es eigentlich nur die glücklichen Kinder sind, die die Macht haben die Welt zu retten. Das ist der Schlüssel: die Freude der Kinder“, beendete sie die Geschichte. Die Kinder warteten ein paar Sekunden, um sicherzugehen dass sie fertig war, und fingen an zu jubeln. „Jaaa, noch eine Geschichte! Noch eine!“, fingen sie wieder an im Chor zu rufen. „Jetzt müssen wir aber noch dem Helden unserer Geschichte helfen!“, sagte die Frau, und blickte zu Gambolio. Mit ihr wandten sich auch alle Kinder ihm zu. Er war ein bisschen überfordert, entschloss sich aber dazu einfach zu winken und ein paar Schritte näher an die Gruppe heranzutreten.

„Und sie können tatsächlich die Welt retten?“, fragte er die Frau ungläubig auf die kleinen Geschöpfe blickend. Als Antwort erhielt er nur ein verächtliches „Pah!“ von ihnen, und ganz auf einmal begannen sie zu lachen. Jedes einzelne Kind schüttelte sich vor Lachen, bis ihnen die Tränen kamen. Anscheinend hatte die Frau auf diesen Moment gewartet, denn nun ging sie zu jedem einzelnen Kind hin und ließ ihre Tränen in ein kleines Fläschchen laufen. Als sie damit fertig war, kam sie zurück. „Natürlich können sie die Welt retten, denn ihr Lachen ist so hell und sonnig, dass die Tränen, die sie davon bekommen, eine heilende Wirkung auf jeden besitzen, der sein eigenes Lachen verlernt und verloren hat.“, sagte sie, als wäre es das Selbstverständlichste überhaupt. „Unsere Welt soll also durch das Lachen von Kindern gerettet werden?“, musste er dann doch wieder fragen, nur um sicher zu gehen. „Ja, du hast es erfasst, Weltretter“, sagte die Frau, und überreichte ihm das Gefäß voller Tränenelixier, das sie vor ein paar Momenten noch aus Sonnenstrahlen geformt hatte.

Esma Bosnjakovic

Geschrieben von © Esma Bošnjaković


Die Fantasygeschichte „Das Tränenelixier“ entstand im Rahmen der novum Verlag Initiative für die Förderung und Inspiration von Schriftstellern über den novum Corporate Blog und die Blogrubrik #Wortwechsel. Wir bedanken uns bei Gastautorin Esma Bošnjaković für ihren inspirierenden Beitrag.

Der nächste #Wortwechsel erscheint am 29. Februar 2016. Lassen Sie Ihrer Tastatur freien Lauf!