Wie man Lebenskünstler wird, verrät Sandra Plaar in einer packenden Autobiographie über einen Schicksalsschlag, der von Leiden, über Läuterung, bis hin zu purer Lebenslust geführt hat.
„Haben Sie sich nie gefragt, warum Ihnen diese ganze Scheiße passiert?“, als Sandra Plaar diese Frage gestellt wird, hat sie bereits einen langen, kräftezehrenden Leidensweg hinter sich. Es ist aber genau dieser Weg, der ihr auf eine Frage eine Antwort gibt, nach der viele Menschen ihr Leben lang vergeblich suchen.
In ihrem Buch, „Ich bin“, schildert die 46 Jährige eine Geschichte, wie sie nur das Schicksal schreiben kann. Als sich die selbstbewusste Schweizerin in jungen Jahren nach Asien aufmacht, um das Weite, die Welt, das Leben zu erforschen, ahnt sie nicht, welche Reise ihr wirklich bevorsteht. Um einer Malariaerkrankung vorzubeugen, nimmt die vorausschauende Frau eine Prophylaxe in Pillenform ein, die ihr Leben für immer verändern sollte. Plötzlich bilden sich schmerzhafte Pusteln auf der Haut. Fieberschübe, Krämpfe und ein empfindliches Brennen machen aus dem paradiesischen Zwischenstopp auf den Malediven einen blanken Horrortrip.
Zurück im Heimathafen Schweiz wird schnell eine Diagnose gestellt. Bei Sandra Plaar wird das Lyell Syndrom diagnostiziert, eine seltene Erkrankung, bei der sich die Haut in schmerzhaften Schüben vom Körper löst. Mit einem Mal wird das Leben, das die zielstrebige Frau immer für sich erträumt hatte, flüchtig und weicht stattdessen einem einzigen Überleben, um das sie von da an jeden Tag kämpfen muss.
Doch während ihres Krankenhausaufenthaltes, der von Schmerzen, Niederlagen, Höhen und Tiefen geprägt ist, lernt die Schweizerin neuen Mut zu fassen. Während ihre Haut, ihre Hülle, ihr Äußeres immer weniger werden, wird ihr Inneres immer mehr. Und in ihrem Streben nach Leben, mit ihrem Hunger nach mehr, beginnt sich ein Feuer in ihr zu formen, das bisweilen nur auf ihrer Haut spürbar gewesen war. Denn das Lyell Syndrom bezeichnet ein Krankheitsbild, das insbesondere durch ein wesentliches Merkmal geprägt ist, durch Schmerz. So gelangen beim Lesen von Sandra Plaars Geschichte nicht nur sie selbst, sondern auch Leser an die Grenzen des menschlichen Empfindens. Das Ausmaß an körperlichen Qualen, das die starke Frau an einer Stelle treffend als „Folter“ bezeichnet, ist für die durchschnittliche menschliche Natur kaum vorstellbar. Umso mehr hält man während des Lesens ehrfürchtig inne, erlebt man, wie sich Sandra Plaar unerbittlich zurück ins Leben kämpft.
Mehr noch, wer zwischen den Zeilen liest, lässt sich schnell von neuem Lebensmut anstecken. So verweigert sich Sandra Plaar nicht nur den Strapazen der Krankheit, sondern findet sogar neue Kraft in ihr, und ergreift den Mut, neue Träume zu wagen, die bis in die sanft verschleierten Schwaden der Spiritualität reichen.
Man möchte sich fast vorbeugen vor der Frau, die sich fürs Leben statt fürs Ergeben entschieden hat, liest man die letzten Zeilen ihrer Geschichte. Nach der Lektüre bleibt man mit einem eigenartigen Gefühl der Zufriedenheit zurück, bleibt einem doch die übliche Frage nach dem „Warum“ erspart. Denn wenn Sandra Plaars Autobiographie etwas lehrt, dann, dass die Frage nach dem „Warum“ viel mehr jener weichen muss, wie man Schicksalsschläge annehmen und was man aus ihnen lernen kann. Vielleicht ist das der Schlüssel zu einem erfüllteren Leben, wie es Lebenskünstlerin Sandra Plaar heute empfinden kann:
„Bis dahin genieße ich jeden Augenblick, bin dankbar für jeden einzelnen, gesunden, beschwerdefreien Tag. Sammle Erfahrungen, bis zu dem Tag, an dem ich die Tiefe und die Tragweite dieses kleinen Satzes erfahren und verinnerlicht habe: Ich bin.“
„Ich bin. Wenn das Leben unter die Haut geht.“
Sandra Plaar
novum Verlag
ISBN.: 978-3-99038-781-8
21,90 Euro
13,99 (e-book)
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