„Die Entscheidungen waren nur der Anfang von etwas. Wenn man einen Entschluss gefasst hatte, dann tauchte man damit in eine gewaltige Strömung, die einen mit sich riss, zu einem Ort, dem man sich bei dem Entschluss niemals hätte träumen lassen“, Paulo Coelho (Der Alchimist).

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„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, Hermann Hesse

Das ist wohl der schlechteste Satz, den ich je geschrieben habe. Auch egal. Warum? Weil sich am Ende sowieso keiner mehr daran erinnern kann. „Wie weise“, mag es euch jetzt im Ohr klingen. „Eigentlich wahr“, mag so mancher vielleicht gerade denken. Doch glaubt mir, es war ein langer, weiter, steiniger und sehr beschwerlicher Weg bis zu dieser erhellenden Erkenntnis.

„Verfasse den ersten Blogbeitrag für den Novum Verlag. Sprühe vor Originalität. Brilliere vor Intelligenz und heimse damit mindestens den Literaturnobel-, wenn nicht den Friedensnobelpreis für weitreichende Gedanken der Nächstenliebe ein“, lautete die Aufgabe, die ich mir kürzlich erst gestellt habe. Doch trotz bescheidenster Ansprüche an mich selbst, wollte mir der Anfang irgendwie nicht so recht gelingen. Und da traf sie mich. Die berühmte Angst vor dem leeren Blatt. „Wo fange ich an? Was will ich eigentlich sagen? Wie geistreich muss mein erster Satz formuliert sein? Und warum will mir eigentlich kein drittes, viertes, fünftes Wort für meine tiefenphilosophische Alliteration einfallen?“, kreisten die Gedanken. Da tat ich, was in so einem Fall eigentlich immer zu tun ist. Ich schlug es nach.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, heißt es da etwa bei Hesse. „Aller Anfang ist hingeordnet auf Vollendung“, mahnt Thomas von Aquin und „Mehret die Anfänge“, fordert gar André Brie. Soweit so gut. Nur war ich jetzt auch nicht viel schlauer als vorher. Da ging ich so in mich und fragte mich, welcher von all den ersten Sätzen, die ich je gelesen hatte, mir am meisten im Gedächtnis geblieben war. Ich begann nachzudenken. Ich trank eine Tasse Tee. Ich dachte weiter, ich grübelte, ich seufzte. Und kam zu dem Schluss, dass kein einziger davon jemals hängen geblieben war. Bruchstückhaft vielleicht. Und zumindest sinngemäß konnte ich auch noch den ein oder anderen Einstieg abrufen. Doch im Wortlaut könnte ich nicht einen einzigen wiedergeben, und das, bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl an gelesenen Büchern. Woran ich mich aber durchaus erinnern konnte, und zwar bei jedem einzelnen Titel, den ich jemals aufgesogen hatte, waren die vielen, vielen Enden. So weiß ich zwar genau, Achtung, Spoiler, dass Anna Karenina vor den Zug gesprungen war, Jane Eyre und Mr. Rochester doch noch zueinander gefunden, Pip und Estella der Liebe, Jean Valjean und Cosette dem Gesetz ein Schnippchen geschlagen haben. An den Anfang, den allerersten Satz auch nur von einem dieser Klassiker, kann ich mich aber beim besten Willen, noch nicht einmal im Zustand tiefster Konzentration, erinnern.

Bleiben nur zwei Erklärungsansätze. Erstens, mein Erinnerungsvermögen ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Oder zweitens, die viel sympathischere und natürlich einleuchtendere Erklärung, wenn ihr mich fragt, der Anfang wird einfach weitreichend überschätzt. Denn was uns wirklich in Erinnerung bleibt, ist das Ende. Der Ausgang einer Geschichte ist das, was uns bewegt, worüber wir grübeln, uns freuen oder so manches Mal vielleicht ärgern, wenn wir ein Buch enttäuscht und stirnrunzelnd zusammenklappen, und sich statt Befriedigung pure Ernüchterung einstellt. Und die Schönheit einer Sache ergibt sich sowieso aus dem Zusammenhang.

Egal wie schlecht, gut, originell oder geistlos ein erster Satz auch sein mag, es bleibt immer noch der zweite, dritte, vierte und, wenn das auch nicht klappen sollte, der siebenhunderteinundfünfzigste Satz. Die Hauptsache ist doch, ihr habt überhaupt angefangen. Glaubt mir also, wenn ich euch sage, dass es ganz gleich ist, was und wie ihr es schreibt. Wo und warum ihr ansetzt und es stilistisch inszeniert. Ihr habt angefangen. Und das allein zählt. Wo wären wir, wenn Dickens sich gescheut hätte, den Stift in die Hand zu nehmen, Van Gogh die leere Leinwand gefürchtet oder Mozart die Klaviatur, zweifelnd an seinen Fähigkeiten, gemieden hätte? Ich denke, die Antwort darauf kennt ihr selbst. Und auch mein schlaues Buch zu Hause bestätigt diese Vermutung, heißt es da doch laut Hitopadesha, von dem ich zwar noch nie gehört, den ich aber ab sofort für einen weisen Mann, oder auch eine weise Frau, ich bin mir nicht sicher, halte: „Aus Furcht vor einem Fehler nichts anzufangen, ist das Zeichen eines schlechten Mannes (oder einer schlechten Frau, Anm. der Redaktion mit Sinn für Gerechtigkeit)“.

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Lasst euch nicht entmutigen – Nichts steht von Beginn an in voller Blüte. Selbst ein Baum erreicht erst zur Mitte seine volle Pracht.

Also, wie es auch kommt, scheut euch nie anzufangen. Am Ende werdet ihr von euch selbst überrascht sein. Und im Zweifelsfall gibt es noch immer die Delete Taste mit der Möglichkeit, von vorn zu beginnen. Und das wiederum ist mitunter einer der besten Sätze, die ich je geschrieben habe.

5 Tipps für einen guten Anfang:

1) Es gibt keinen guten Anfang, weil es keinen schlechten gibt.

2) Keine Angst vor dem leeren Blatt.

3) Der einzige Fehler beim Anfangen ist der, nicht anzufangen.

4) Einfach drauf los schreiben. Für den Notfall gibt es immer noch die Delete Taste.

5) Viel wichtiger als ein guter Anfang ist ein gutes Ende.

Euer Novum Verlag,

„Lasst eurer Tastatur freien Lauf“.